19.10.2023 16:28
von Petra Basler
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Foto: Colourbox.de
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Sozialdemokratische Zukunftspolitik für Europa: Keine Demokratie ohne sozialen Zusammenhalt

Antragsbeschluss der OWL SPD Regionalkonferenz am 14.10.2023:

Inhaltliche Leitlinien für den Europawahlkampf der SPD in Ostwestfalen-Lippe

Die westlichen Demokratien stehen seit Jahren unter einem steigenden Druck. Der Austritt Großbritanniens aus der EU und die Amtszeit von Donald Trump als Präsident der USA waren im vergangenen Jahrzehnt nur zwei Symptome der aktuellen Krise. Durch die Corona-Pandemie und den Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, ist der Druck weiter gestiegen. Während in ganz Europa rechtsradikale Kräfte an Einfluss gewinnen und in einigen europäischen Staaten demokratische Prinzipien abgebaut werden, droht Europa die Konkurrenzfähigkeit gegenüber autoritären Systemen wie China zu verlieren. Mit einer Kombination aus konservativer Trägheit, neoliberaler Wirtschafts- und Finanzpolitik und radikaler Abschottung an den Grenzen wird Europa im Wettstreit der Systeme den Kürzeren ziehen.

Darum kämpfen wir für eine andere europäische Politik. Wir wollen eine aktive Wirtschaftspolitik, die in die Zukunft investiert und die soziale und ökologische Transformation aktiv gestaltet. Wir wollen mit einer aktiven Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik den Menschen in Zeiten der Veränderungen Sicherheit bieten. Wir wollen Europas Verantwortung in der Welt annehmen und unseren Beitrag für Frieden und eine gerechtere Weltordnung bringen. Und zur Verantwortung in einer sich verändernden Welt gehört auch eine Migrationspolitik, die Menschen nicht ertrinken lässt.

Wir wollen ein Europa, das ein globales Modell wird für Innovation, stabile Demokratie und einen menschlichen Umgang miteinander. Sozialer Zusammenhalt ist der beste Stabilisator für die Demokratie und der beste Motor für nachhaltige Innovationen. Dieser Zusammenhalt entsteht nicht aus moralischen Appellen und gutem Willen allein. Er entsteht durch eine Politik, die Menschen Perspektiven schafft und Brücken zueinander baut statt sie in Kulturkämpfen gegeneinander auszuspielen.

Der europäische Integrationsprozess bietet eine große Chance, den Zusammenhalt zu stärken und Menschen zusammenzubringen. Seit jeher setzen sich Sozialdemokrat*innen dafür ein, dass Europa weiter zusammenwächst. Gerade in diesen Zeiten globaler Veränderungen sind die Nationalstaaten zu klein, um in den großen Fragen ausreichend Gewicht zu haben. Für mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit, mehr Sicherheit, mehr Perspektiven und mehr Klimaschutz brauchen wir mehr Europa, nicht weniger.

Arbeit und Soziales

Gute Arbeit muss europaweit gedacht werden. Beispiele wie die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen in der Fleischindustrie, der Spargelstecher*innen oder der LKW-Fahrer*innen zeigen deutlich, wie europäische Regelungen ausgenutzt werden, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Wir wollen dem ein Europa entgegenstellen, das die Arbeitsbedingungen verbessert und gemeinsame soziale Standards schafft. Wir wollen Wohlstand und gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Europas schaffen.

Konkret setzen wir auf:

  • Eine schnelle Umsetzung des schon beschlossenen europaweiten Rahmens für angemessene Mindestlöhne und eine regelmäßige Überprüfung der festgelegten Ziele.
  • Einheitliche Mindeststandards für Tarifverträge.
  • Einen umfassenden und lückenlosen Sozialschutz mobiler Beschäftigter. Dafür bedarf es europaweit wirksame digitale Lösungen. Konkret fordern wir einen verbindlichen Sozialversicherungspass und die Möglichkeit, Dokumente in Echtzeit zu prüfen.
  • Europaweite soziale Mindeststandards für öffentliche Ausschreibungen nach dem Vorbild des deutschen Tariftreuegesetzes.
  • Ein Programm zur Sicherstellung gerechter Lieferketten.
  • Eine Schließung des Gender Pay Gap. Die Europäische Gleichstellungsstrategie muss durch konkrete Maßnahmen umgesetzt und nach ihre Auslaufen 2025 erneuert werden.
  • Eine gerechte und effektive europäische Steuerpolitik. Steueroasen müssen trockengelegt werden. Große digitale Konzerne wie Amazon, Google und Facebook müssen ihren angemessenen Anteil beitragen.

Transformation und Digitalisierung

Die EU hat sich zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Dieses Ziel kann nur durch Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinaus erreicht werden. Wir brauchen also eine europäische Transformationspolitik. Die Transformation muss aktiv von der EU gestaltet werden. Das bedeutet strategische Investitionen, gerechte Kostenverteilung und die Sicherstellung guter Arbeit.

Es gibt bereits in der EU-Gelder für Transformation, jedoch sind diese nicht ausreichend und es bedarf auch einer koordinierten Strategie. Bei der Vergabe von europäischen Fördergeldern müssen Aspekte wie Tarifbindung, Beschäftigungssicherung, Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltige Wertschöpfungsketten im Fokus stehen.

Für eine gelingende Transformation sind auch verlässliche Energiepreise nötig, auch um wichtige Industrien und auch Arbeitsplätze in Europa und zu halten. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss jetzt schnell voranschreiten und die Vernetzung der Energieversorgung muss grenzüberschreitend weiter ausgebaut werden.

Transformation bedeutet, dass unsere Arbeitswelt vor großen Umbrüchen steht und sich auch schon mitten darin befindet. Berufe, in denen heute viele Menschen arbeiten, wird es in Zukunft möglicherweise nicht mehr geben, andere völlig neue Berufsbilder entstehen.

Die Arbeitswelt der Zukunft, die für viele wie ein Science-Fiction Szenario anmutet, birgt nicht nur Risiken, sondern auch viele Chancen. Entscheidend ist, dass wir die Zukunft der veränderten Arbeitswelt aktiv mitgestalten. Wir müssen europaweit dafür sorgen, dass alle Menschen von den Errungenschaften profitieren und gerade in der Arbeitswelt für die neuen Herausforderungen fortwährend qualifiziert werden. Ein europaweiter Rechtsanspruch auf Aus- und Weiterbildung kann sicherstellen, dass die dringend benötigten Fachkräfte gewonnen, qualifiziert und auch gehalten werden.

Konkret setzen wir auf:

  • Eine gemeinsame europäische Industriestrategie. Um die Klimaziele zu schaffen, brauchen wir nachhaltige Herstellungsprozesse mit grünem Stahl und grünem Wasserstoff. Dafür braucht es eine abgestimmte europäische Strategie, um gezielt zu investieren und Wettbewerbsregeln zu überarbeiten.
  • Stärkere Ansätze gemeinsamer europäischer Verkehrspolitik, um den Transport von Gütern und den Personenverkehr stärker auf die Schiene zu verlegen. Teil der gemeinsamen Verkehrspolitik sollte eine gemeinsame Kerosinsteuer sein.
  • Den Aufbau einer digitalen Infrastruktur, die gleichwertige Lebensverhältnisse in Europa herstellt.
  • Einen europaweiten Rechtsanspruch auf Aus- und Weiterbildung, damit alle Menschen von den Errungenschaften der Digitalisierung profitieren und gerade in der Arbeitswelt für die neuen Herausforderungen fortwährend qualifiziert werden.

Frieden und Europas Verantwortung in der Welt

Die europäische Annäherung ist ein Friedensprojekt. Dass Menschen, die einst in zwei Weltkriegen aufeinander geschossen haben, jetzt in stabilem Frieden miteinander leben, miteinander handeln und miteinander an der gemeinsamen Zukunft arbeiten, hat in diesen Zeiten einen besonderen Wert. Spätestens seit Putins völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine ist die Weltordnung aus den Fugen gebracht. China strebt in eine globale Führungsrolle, während die Zukunft der USA in der globalen Ordnung ungewiss ist.

Für Europa muss das heißen, die Verantwortung für eine gerechte Friedensordnung anzunehmen. Das heißt zum einen, sich verstärkt dafür einzusetzen, dass eine Friedens- und Sicherheitspolitik auf Basis von Verträgen wieder die Grundlage des globalen Umgangs miteinander wird. Zum anderen heißt das aber auch, präventiv zukünftige Konflikte zu verhindern, indem man an einer gerechteren Weltordnung mitwirkt.

Konkret setzen wir auf:

  • Eine enge militärische Zusammenarbeit mit dem langfristigen Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee. Ganz praktisch muss die Zusammenarbeit vor allem beim Entwickeln und Beschaffen von Waffensystemen werden. Eine effiziente Zusammenarbeit kann dazu führen, dass insgesamt eine Abrüstung möglich ist, ohne dabei Einbußen bei der Sicherheit Europas zu machen.
  • Europa muss vor allem bei den Themen Abrüstung, Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle eine Führungsrolle einnehmen. Dazu gehört auch, sich weiterhin für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.
  • Eine nachhaltige Handels- und Entwicklungspolitik.

Migration und Integration

In einer globalisierten Welt, die von globalen Krisen geprägt ist, wird sich Migration nicht aufhalten lassen. Alle Versuche, die Migration nach Europa dadurch zu stoppen, dass die Wege komplizierter und gefährlicher werden, verhindern keine Migration, sondern führen lediglich dazu, dass noch mehr Menschen ihr Leben verlieren. Das wichtigste Ziel einer menschlichen Migrationspolitik muss daher lauten: Das Sterben auf dem Mittelmeer muss enden!

Darüber hinaus muss es eine viel stärkere Unterstützung für die Kommunen geben, die geflüchtete Menschen bei sich aufnehmen. Integration funktioniert nur, wenn der soziale Zusammenhalt vor Ort garantiert ist.

Konkret setzen wir auf:

  • Eine Reform des europäischen Grenzschutzes. Bei der Arbeit von Frontex muss in Zukunft die Rettung von Menschenleben in den Mittelpunkt rücken. Private Hilfsorganisationen dürfen nicht länger kriminalisiert werden.
  • Schnelle Asylverfahren. Die Verfahren müssen so ablaufen, dass Menschen nicht jahrelang auf die Entscheidung warten müssen, ob sie Anspruch auf Asyl haben. Abschiebungen dürfen nicht in Länder erfolgen, in denen den Menschen Gefahr droht.
  • Ein Programm, das Kommunen, die geflüchtete Menschen aufnehmen, bei Integrationskosten und in gleicher Höhe bei kommunalen Entwicklungskosten finanziell unterstützt.

Auf geht es in den Wahlkampf

Am 9. Juni 2024 findet die Europawahl statt. Wir ziehen mit der Überzeugung in den Wahlkampf, ein gutes Angebot für ein gerechteres und besseres Europa zu bieten. Davon wollen wir die Menschen in Ostwestfalen-Lippe überzeugen. Eine starke sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament bietet die Chance, Europa endlich wieder als Projekt der Gerechtigkeit und des Ausgleichs statt eines Aufeinanderprallens verschiedener Egoismen zu leben.

Dafür wollen wir die Mitglieder in unseren Kreisverbänden und unserem Unterbezirk sowie in den Arbeitsgemeinschaften – allen voran traditionell stark im Europawahlkampf unsere Jusos – dazu motivieren, einen lebendigen und innovativen Wahlkampf durchzuführen. Ein Jahr vor der Kommunalwahl bietet die Europawahl uns dabei eine Chance, auf die Zusammenhänge der großen europäischen Politik mit den konkreten kommunalen Entscheidungen vor Ort zu verweisen.

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